Im Gespräch mit Gerhard Schlotterbeck, Stationsleiter der Geriatrischen Station 11 sowie der Interdisziplinären Demenz-Abteilung (IDA) und der Ergotherapeutin Anne Sackmann.
Pflegefachmann Gerhard Schlotterbeck ist seit 2014 im Haus leitend tätig. Er konzipierte in einer internen Arbeitsgruppe die Interdisziplinäre Demenz-Abteilung (IDA). Deren Startschuss fiel 2017 zunächst als Förderprojekt. Möglich wurde dies durch eine dreijährige Anschubfinanzierung der Lechler Stiftung. Bis heute ist die Abteilung Vorbild für Fachkreise. Ergotherapeutin Anne Sackmann bietet spendengestützt das Angebot „IDA aktiv“ seit 2021 an.
Herr Schlotterbeck, warum braucht es bei aller Spezialisierung der Klinik eine IDA?
Das möchte ich mit einer Momentaufnahme beantworten: Das Durchschnittsalter beträgt hier aktuell 84 Jahre. Im Bundesdurchschnitt wird die Demenzerkrankungsrate in dieser Altersgruppe zwischen 12 bis 20 % angesetzt. Unsere Situation: 55 % unserer Patienten haben die Nebendiagnose Demenz, ihre Einweisung erfolgte mit kognitiven Einschränkungen und typischen Verhaltensauffälligkeiten oder einem Delir. Die übliche Krankenhausstruktur an sich zählt übrigens als auslösender Faktor eines Delirs. Unser Ansatz ist es, Patienten mit der Nebendiagnose Demenz einen sicheren und würdevollen Aufenthalt zu ermöglichen, der eine erfolgreiche Therapie der Akuterkrankung bzw. des Einweisungsgrundes begünstigt.
Herr Schlotterbeck, was ist der Leitgedanke der IDA und was sind deren zentrale Angebote?
Zentraler Leitgedanke ist unser Menschenbild: Der Mensch steht als Mensch im Vordergrund, nicht die Demenzerkrankung. Wir möchten Patienten in ihrem Menschsein wahrnehmen und unseren Umgang mit ihnen darauf ausrichten. Ein Stationsaufenthalt ist für Patienten mit Demenz besonders herausfordernd und belastend, neben den Krankenhausstrukturen an sich auch bedingt durch die oft auftretenden Symptome wie Unruhe, Hinlauftendenz, Desorientierung, Angst, Halluzinationen, gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus etc. Die IDA bietet ihnen einen weitgehend stressfreien Aufenthalt und verringert Risikofaktoren in der Behandlung.
Die IDA ist ein räumlich abgegrenzter, geschützter Bereich der Station mit Platz für acht Patienten sowie einem Aufenthaltsraum und einem begrünten Innenhof. Hier geht es definitiv einen Tick ruhiger und langsamer zu. Durch den Aufenthaltsraum ist eine mehrmalige Mobilisation am Tag vorgegeben, gleichzeitig wird der Tag- und Nachtrhythmus gefördert. Das Essen am Tisch ist hier ein Gemeinschaftserleben. Durch eine überwiegend lückenlose Betreuung kann der Flüssigkeits- und Kalorienbedarf eher garantiert werden etc.
In der Summe haben die Maßnahmen eine große Wirkung, verlangen allen aber auch die Verpflichtung ab, diese vom regulären Klinikalltag abweichenden Strukturen zu leben.
Das Konzept gewährleistet Versorgungssicherheit, eine weitmöglichste Selbstbestimmung der Patienten, erhält möglichst das Niveau ihrer Selbstständigkeit, senkt die Delirgefahr und steigert die Zufriedenheit – vom Patienten über den Angehörigen bis zum Mitarbeitenden.
Wer gehört zum IDA-Team, Herr Schlotterbeck?
Gesundheits- und Pflegefachkräfte der Station 11, sieben Alltagsbegleiterinnen, Kolleginnen der Ergotherapie, Logopädie und Ernährungsberatung sowie Stationsärzte. Die Alltagsbegleiterinnen sind zentrales Element des Konzepts: 365 Tage haben sie von 7.30 bis 13.00 und 14.30 bis 20.00 Uhr viel Zeit für eine individuelle Zuwendung und Beschäftigung (z. B. gemeinsames Zeitunglesen, Spielen, Kochen, Backen, Singen, Basteln, Gymnastik, Biografie- und Erinnerungsarbeit). Hinzu kommen regelmäßige Besuche der Clowns im Dienst e. V.
Frau Sackmann, was ist Ihre Aufgabe auf der IDA?
Mein Ziel als Ergotherapeutin ist es, dass unsere Patienten Bewegungs-, Handlungs- und Alltagsfähigkeiten wiedererlangen. Es geht um ein Mobilisieren: zum Beispiel selbstständig aus dem Bett aufzustehen, allein auf die Toilette zu gehen, stabil zu stehen. Dazu gehört auch, dass ich Vertrauen aufbaue und der Patient trotz Schmerzen in Bewegung kommt.
Es geht bei unserem Angebot „IDA aktiv“ darum, die Wahrnehmungs- und Handlungsressourcen zu aktivieren sowie Erinnerungs- und Fähigkeitsinseln anzusprechen. Wir holen den Patienten da ab, wo er steht, d. h. wir versuchen uns auf das einzustellen, was er mitbringt – Unruhe, Orientierungslosigkeit, Ängste, Bewegungseinschränkungen etc.
Frau Sackmann, wie ist Ihre Bilanz nach drei Jahren „IDA aktiv“?
„IDA aktiv“ hat sich fest in den Stationsalltag integriert. Es ist auch ein guter Rahmen für eine enge Zusammenarbeit mit den Alltagsbegleiterinnen der IDA. Das Angebot „IDA aktiv“ trägt viel Spontanität in sich, weil es von den Teilnehmern und ihren Möglichkeiten geprägt ist. Es ist ein individuelles, einmaliges Erlebnis. Unsere Patienten kommen in Bewegung, in Kontakt und sind Teil einer Gruppe. Das alles wird mit zunehmender Demenz seltener und ist emotional sehr anregend, bereichernd und stabilisierend für unsere Patienten. Es ist wichtig, dass dieses rein über Spenden finanzierte Angebot weiter Bestand hat.